In Freude Christ sein - Leben des hl. Philipp Neri
von Bischof Ernst Tewes
I.
Wir schreiben das Jahr 1534. Ein junger 20jähriger Mann aus Florenz mit viel Liebenswürdigkeit und Charme, begabt mit gutem Humor, ein glühender Verehrer Savonarolas, kommt nach Rom, das er bis zu seinem Tode nicht mehr verläßt: Philipp Neri. Geheimnisvoll getrieben geht er nach Rom, ohne festen Plan, ohne etwas Bestimmtes zu wollen. Er will nur das eine - Christ sein und sein Leben der Liebe zu Gott und Christus leben. Sonst nichts. Die Führung Gottes wird ihn zum Apostel der Stadt Rom werden lassen.
Wie sah es denn aus in dieser Stadt? Das damalige Rom ist das Rom der Renaissance, das Rom der marmornen Paläste und der glänzenden Feste. Das Rom der weltlichen und geistlichen Fürsten mit dem Heer ihrer Diener. Das Rom der Müßiggänger und Nichtstuer, aber auch das Rom der armen Leute und Bettler. Nicht erst seit gestern, sondern schon seit zwei Generationen ist die Geschichte der geistlich und weltlich Führenden vom Geist der Renaissance fasziniert. Die Menschen haben eine große Entdeckung gemacht - die Welt des alten heidnischen Roms und Athens und ihre wirkliche, aber mehr noch ihre vermeintliche Herrlichkeit; ihr Ideal ist alles, was menschlicher Größe und Selbstdarstellung dient, das Großartige, Prächtige, der Erfolg, besonders die Macht. Man liest die heidnischen Schriftsteller und Philosophen. In ihren Gestalten und Gedanken findet man die Vorbilder der Zeit. Sie gelten mehr als Christus und das Evangelium. Man bricht zwar nicht mit ihm. Was aber begeistert und das Leben formt, ist nicht Christus, sondern Ovid, Homer, Cicero und die Antike.
Dieser Geist hat große Kulturwerke geschaffen. Kein Italien- und Romfahrer von heute wird ihnen die Bewunderung versagen. Aber es mußte ein hoher Preis dafür bezahlt werden. Die innere Reform der Kirche, allenthalben und schon lange ersehnt und gefordert, schien in diesem Rom vergessen. Darüber zerbrach die Einheit der Kirche. In Deutschland glaubte zu dieser Zeit Luther, die Erneuerung in jener verhängnisvollen Weise herbeizwingen zu müssen, unter der wir alle noch leiden.
Gebet des hl. Philipp:
Ich möchte dir dienen und ich finde den Weg nicht.
Ich möchte das Gute tun und ich finde den Weg nicht.
Ich möchte dich finden und ich finde den Weg nicht.
Ich kenne dich noch nicht, mein Jesus, weil ich dich nicht suche.
Ich suche dich, und ich finde dich nicht.
Komm zu mir, mein Jesus! Zerschneide meine Fesseln, wenn du mich haben willst.
Mein Jesus, sei mir Jesus.
II.
In diese Stadt kam Philipp Neri. Er hat sie verwandelt. Nicht dadurch, daß er nach Mitteln sann und ein Programm entwarf. Ihn trieb es zum Gebet. Er hatte eine kleine Beschäftigung als Hauslehrer, die ihm gerade soviel einbrachte, daß er zu essen hatte. In der freien Zeit stand er viele Stunden auf dem Markt und redete mit den einfachen Leuten, besuchte die Armen in den Spitälern, in denen unvorstellbare Zustände herrschten. Der eigentliche Inhalt seines römischen Aufenthaltes von seinem 20. bis 36. Lebensjahr aber war das Gebet. Fast einsam verbrachte er diese Jahre. In ihnen wuchs er brennenden Herzens in jene Tiefen des Gebetes, vor denen er sich später oft durch äußerliche Dinge zu retten suchte.
Von Anfang an war er in dieser Stadt aufs heftigste angezogen und berührt von den Stätten, wo er dem lebendigen Geist der frühen Kirche begegnete. So zog er oft vor die Tore der Stadt zu den sieben alten Hauptkirchen Roms, zunächst noch allein. Später sollten es viele Tausende sein, die betend und singend und nach römischer Art in lauter Fröhlichkeit, wie zu einem Volksfest, mit ihm zogen. Vor allem hatte es ihm die Katakombe des hl. Sebastian angetan. Sie war damals die einzig zugängliche. In der Einsamkeit und Stille dieser frühchristlichen Stätte verbrachte er seine meiste Zeit, oft zehn Stunden und mehr. Gerade diese Stunden des Gebetes und der Betrachtung, umgeben vom sprechenden Geist der frühen Kirche, machten ihn zum Heiligen der ersten christlichen Zeiten, von denen sein ganzes Tun geprägt ist..
Auf äußeres Drängen ließ er sich mit 36 Jahren zum Priester weihen. jetzt sammelten sich um ihn, den Geisterfüllten, langsam die Menschen, zuerst nur Laien, einfaches Volk und Edelleute. Dann aber auch Priester, Prälaten und selbst römische Kardinäle. Fast jeden Nachmittag traf sich bei ihm ein bunter und offener Kreis, der immer größer wurde. Man redete über Gott und die Dinge des Glaubens. Täglich wurde die Heilige Schrift gelesen und den Anwesenden erklärt. Man betete zusammen. Von daher bekamen die Zusammenkünfte ihren Namen: Oratorium - Gebetsgemeinschaft. Philipp forderte die Musikbegabten unter den Teilnehmern, z.B. Palestrina, auf, Texte der Heiligen Schrift zu vertonen und bei den Zusammenkünften singen und spielen zu lassen. So hatte auch das „Oratorium“ als musikalische Kunstform hier seinen Ursprung. Er schickte die Seinen zu tätiger christlicher Hilfe in die Spitäler. In täglichem stundenlangen Beichthören besiegelte er die Umkehr der einzelnen im Sakrament und zog mit wachsender Zahl, mit tausenden Römern aus dem einfachen Volk, singend, betend und scherzend zu den sieben alten Kirchen der Stadt.Überall redete man von ihm, dem „Pippo buono“, vom „guten Philipp“. Noch heute ist er in den Herzen der Römer einer ihrer liebsten Heiligen. Der spätere Kirchengeschichtsschreiber Kardinal Baronius, selbst ein Mitglied des Oratoriums und enger geistlicher Freund Philipps, gibt den Eindruck wieder, den diese Anfänge des Oratoriums auf die Zeitgenossen machten: Es schien, als ob die schöne Zeit der ersten Christen wieder aufgelebt sei. So wuchs langsam, aber stetig und durchgreifend, oft gegen böswilligen Widerstand, durch und um Philipp Neri im Rom der heidnischen Renaissance eine andere Renaissance heran, die Wiedergeburt der glaubenserfüllten frühen Christenheit.
Als sich einige Priester dauernd an Philipp banden und mit ihm ein gemeinsames priesterliches Leben führten, entstand das Oratorium im engeren Sinne. Man drängte ihn, aus dieser Gemeinschaft einen Orden mit Gelübden zu machen. Dagegen hat er sich immer aufs heftigste gewehrt. Er wollte keine andere Bindung als die der brüderlichen Liebe, ähnlich der einer Familie. „Wenn die Liebe sie nicht mehr zusammenhält, dann soll sie auch das Gelübde nicht mehr zusammenhalten“, meinte er, auch hier ganz dem Geist des Ursprünglichen verpflichtet.
Philipp Neri starb 1595.
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